Cover
Titel
Frantz Fanon.


Autor(en)
Ciriez, Frédéric; Lamy, Romain
Erschienen
Anzahl Seiten
232 S.
Preis
€ 25,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Paula Dahl, Arbeitsbereich Globalgeschichte, Universität Hamburg

Frantz Fanon gehört bis heute zu den einflussreichsten antikolonialen Denker:innen. Der 1925 auf Martinique geborene Psychiater und politische Philosoph kämpfte im Zweiten Weltkrieg gegen Nazi-Deutschland, ging 1953 nach Algerien, leitete dort zunächst die psychiatrische Klinik in Blida, begann den Unabhängigkeitskampf der Front de libération nationale (FLN) zu unterstützen und schloss sich dieser 1956 schließlich ganz an. Bis zu seinem Tod an Leukämie im Jahr 1961 kämpfte er gegen Rassismus und Kolonialismus.

Nachdem er im Kontext der Dekolonisierungswelle in den 1960er-Jahren und bis in die 1970er-Jahre hinein internationale Bekanntheit erlangte, geriet Fanon in den 1980er-Jahren zunehmend in Vergessenheit. Doch die Postcolonial Studies brachten in den 1990er-Jahren ein Fanon-Revival mit sich, das bis heute andauert.1 Seine bekanntesten Bücher Schwarze Haut, weiße Masken (1952) und Die Verdammten dieser Erde (1961) gehören heute zu den zentralen Schriften der Postcolonial Studies.

Die von dem Schriftsteller Frédérick Ciriez verfasste und von dem Zeichner Romain Lamy illustrierte Graphic Novel lädt Leser:innen zu einem Blick in das bewegte Leben des Psychiaters und Revolutionärs ein und bietet gleichzeitig einen wunderbaren Einstieg in seine politischen, philosophischen und psychologischen Ideen und Positionen, besonders zu Rassismus, Kolonialismus und Dekolonisierung. Die Graphic Novel tut dies anhand eines besonderen Momentes: eines dreitägigen Treffens zwischen Fanon und Jean-Paul Sartre, begleitet von Simone de Beauvoir und Claude Lanzmann, in Rom im August 1961. Das Treffen wurde von Fanons Verleger François Maspero organisiert und fand überwiegend in einem Hotelrestaurant statt. Vier Monate später erlag der 36-jährige Fanon seiner Leukämieerkrankung. Die in der Graphic Novel wiedergegebenen Einzelheiten des Treffens sind weitestgehend fiktiv, es gibt kein Archiv, in dem diese dokumentiert sind.

Das Buch ist in drei Kapitel aufgeteilt: Freitag, Samstag und Sonntag. Der erste Teil, Freitag, umfasst circa 40 Seiten, auf denen hauptsächlich Fanon und Sartre über Algerien, Gewalt und Fanons Manuskript „Die Verdammten dieser Erde“ diskutieren. Fanon entwickelt darin seine revolutionäre Vision der Dekolonisierung und ruft zum Unabhängigkeitskampf auf. Sartre verspricht Fanon, dessen Wunsch nachzukommen und das heute legendär gewordene Vorwort zum erwähnten Buch zu schreiben. Die vier Gäste widmen sich anschließend dem brennenden Thema des algerischen Unabhängigkeitskriegs. Neben Fanons großer Bewunderung für Sartre kommt hier auch seine schonungslose Kritik an dessen, aus Fanons Sicht, zögerlicher Haltung zu ebendiesem Krieg zur Geltung.

Im längsten Teil der Graphic Novel, Samstag, erfahren die Leser:innen mehr über Fanons Leben, sein Wirken in der Psychiatrie und seinen Weg in die Politik. Die enge Verbindung von Fanons politischen Ansichten und seiner Arbeit in der Psychiatrie tritt hier deutlich zu Tage. Er führt die psychischen Leiden der Algerier:innen, die er in Blida betreut, primär auf die koloniale Erfahrung zurück: „Im Krankenhaus war ich Zeuge einer kranken Bevölkerung. Die Kolonisation hatte sie wirtschaftlich in die Knie gezwungen, und jetzt riss der Krieg ihre letzten psychischen Abwehrmechanismen ein“ (S. 144). Vorher hatte er bereits als junger Assistenzarzt sein erstes Buch verfasst: Peau noire, masques blancs (dt. Schwarze Haut, weiße Masken).

Elegant binden die Autoren zudem weltpolitische Ereignisse sowie Momente des antikolonialen Kampfes in Fanons Biografie ein, wie etwa den „Ersten Kongress schwarzer Schriftsteller und Künstler“ 1956 in Paris oder auch das Erscheinen der ersten Ausgabe des Magazins El Moudjahid am 1. Juni 1956, der Zeitschrift des algerischen Unabhängigkeitskampfes, deren Herausgabe Fanon nur wenige Monate später übernehmen wird. Anhand einzelner Geschehnisse lassen sie außerdem die engen Kontakte, die Fanon zu anderen internationalen Aktivist:innen pflegt und die Ausdruck seines überzeugten Panafrikanismus sind, wieder aufleben.

Der dritte Teil, Sonntag, beschäftigt sich neben Fanons weiterem Engagement in der FLN vor allem mit seinen panafrikanischen Positionen. Deutlich grenzt er sich von Léopold Sédar Senghors Politik der Négritude ab, wird zum ständigen Vertreter des Gouvernement provisoire de la Républic algérienne (GPRA) in Accra, trifft unter anderem den kongolesischen Präsidenten Patrice Lumumba (welcher kurze Zeit später ermordet wird), gibt Einblicke in den Kameruner Befreiungskampf der Armée nationale de Liberation du Cameroun (ANLK) und betont immer wieder die Notwendigkeit des bewaffneten Widerstands. Fanons unerschütterlicher Glaube an eine panafrikanische Dekolonisierung sowie sein scheinbar uneingeschränktes Vertrauen in die bewaffnete algerische Befreiungsfront erfahren durchaus auch Kritik, beispielsweise durch den FLN-Anführer Mohammed Harbi, der die Frage aufwirft, ob Fanon Realpolitiker ist oder den antikolonialen Kampf nicht doch eher romantisiert. Aufgrund seiner schweren Krebserkrankung begibt sich Fanon, der keine Blutspenden weißer Menschen annehmen möchte, schließlich in das Militärkrankenhaus in Bethesda bei Washington DC, wo er kurz darauf am 6. Dezember 1961 verstirbt. Die Graphic Novel endet damit, dass Beauvoir in Paris Sartre von Fanons Tod berichtet. Das Schlusswort gebührt einem Zitat aus Die Verdammten dieser Erde von Fanon: „Jede Generation muß in einer relativen Finsternis ihre Mission entdecken und sie entweder erfüllen oder verraten.“

Im gesamten Buch arbeiten die Autoren mit einigen durch Fußnoten kenntlich gemachten Auszügen aus Fanons Tagebuch, seinen Schriften und Reden, Briefen und verschiedenen Zeitungsartikeln. Die Autoren nutzen zudem verschiedene Biografien über Fanon, darunter die von seinem Bruder Joby Fanon verfasste oder auch die breit rezipierte Arbeit von David Macey. Darüber hinaus finden weitere antikoloniale Texte und Autor:innen Erwähnung, die interessierte Leser:innen zur vertiefenden Lektüre anregen: Aimé Césaires Und die Hunde schwiegen, Jacques Charbys L’Algerie en prison, Chester Hime's A Rage in Harlem und viele mehr.

Romain Lamys grobkörnige, eher unaufgeregte Zeichnungen unterstützen durch Form und Farbe meist – leider nicht ganz konsequent – visuell die Persönlichkeiten und die Äußerungen der einzelnen Personen. Darüber hinaus verdeutlichen sie die Sprünge zwischen der Unterhaltung in Rom, biografischer Erzählung und Träumen. Im Vergleich zu anderen historisch-literarischen Graphic Novels wie Packeis von Simon Schwartz2 oder den berühmten Maus-Comics von Art Spiegelman3 wird bei Frantz Fanon weniger mit zeichnerischen Elementen experimentiert, die bildliche Gestaltung ist teilweise eher illustrativ, statt selbst als erzählerisches Element zu fungieren.

Michel Adrians Übersetzung des 2020 auf Französisch erschienenen Buches ist besonders gut gelungen. An einigen Stellen sind die Originalsprachen wie Martinique-Kreolisch geblieben und es wurde mit deutschsprachigen Fußnoten gearbeitet. So schafft die deutsche Fassung es, dass in der französischen Sprache merkbare regionale und soziale Unterschiede nicht verloren gehen.

Zurecht wurde Frantz Fanon von der französischen und auch der deutschen Kritik gelobt.4 Fréderick Ciriez und Romain Lamy bieten mit ihrer Graphic Novel zum 60. Jahrestag von Fanons Tod einen intellektuell anspruchsvollen, höchst anschaulichen Einblick in dessen Leben und Wirken – sowohl für Einsteiger:innen als auch für Fanon-Expert:innen.

Anmerkungen:
1 Andreas Eckert, Predigt der Gewalt? Betrachtungen zu Frantz Fanons Klassiker der Dekolonisation, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 3 (2006), S. 169-175, https://zeithistorische-forschungen.de/1-2006/4453 (20.06.2022).
2 Simon Schwartz, Packeis, Berlin 2012.
3 Art Spiegelman, The complete Maus, New York 1994.
4 U.a. Frédérick Port-Levet / Agnès Cavet, Rezension zu: Frédérick Ciriez / Romain Lamy, Frantz Fanon, Paris 2020, in: Lectures, https://journals.openedition.org/lectures/44511#text (20.06.2022); Andreas Eckert, Rezension zu: Frédérick Ciriez / Romain Lamy, Frantz Fanon, Paris 2020, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, URL: <https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/sachbuch/frederic-ciriez-und-romain-lamys-graphic-novel-frantz-fanon-17642956.html> (20.06.2022).

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